Citizen Experience: Öffentliche Verwaltungsleistungen als digitale Bürger-Services

Was sich in der Privatwirtschaft inzwischen zum Standard entwickelt hat, steckt in vielen Bereichen der öffentlichen Digitalwelt heute noch in den Kinderschuhen: User-orientierte Konzeption und Entwicklung. User Experience Design geht von aktiven und interessengeleiteten Nutzern aus, für die digitale Produkte und Services längst zum Alltag gehören. Das Bewusstsein für die neue Verbrauchersouveränität ist in vielen Branchen bereits tief verankert – vom klassischem E-Commerce über Reise- und Tourismuswirtschaft bis zum Online-Banking. Denn die Qualität eines digitalen Services entscheidet bei konkurrierenden Angeboten immer häufiger über Kaufentscheidungen und Vertragsabschlüsse.

Was bedeutet diese Entwicklung für digitale Angebote des öffentlichen Bereichs? Hier fehlt ganz offenkundig ein vergleichbarer Handlungsdruck: Da Standesämter, Zulassungsstelle oder Bürgerbüros nicht befürchten müssen, dass der Bürger zur Konkurrenz abwandert, hat sich die digitale Revolution im Bereich öffentlicher Bürger-Services bisher nur sehr punktuell durchgesetzt. Wir können bei der Polizei online Anzeige erstatten, eine Versammlung anmelden oder beim Bürgeramt online einen Termin buchen, um den neuen Reisepass zu beantragen. Und das Bayerische Landesamt für Steuern in München koordinierte mit der Steuerplattform ELSTER den wahrscheinlich erfolgreichsten digitalen Bürger-Service bundesweit: Über 16 Millionen Einkommensteuererklärungen wurden 2014 mit ELSTER eingereicht.

Trotzdem gibt es sicher nicht wenige deutsche Bürger, die sich fragen: Warum kann ich meinen Reisepass nicht komplett online bestellen wie ein australischer Bürger? Weshalb lässt sich die monatliche Umsatzsteuervoranmeldung nicht bequem mit dem Smartphone erledigen? Die Transformation der öffentlichen Verwaltung in bürgerorientierte Digitalservices hat gerade erst begonnen. Noch immer haben die meisten solcher Bürger-Services den Charakter von Fachanwendungen, die zwar funktional (und auch nicht-funktional) wichtige Anforderungen erfüllen, aber die Perspektive des Anwenders nicht ausreichend berücksichtigen. Dabei bieten Bedienungsoberflächen, die auf die Erwartungen und den Bedarf der Benutzer optimiert sind, nicht nur mehr Komfort für den Bürger: Auch die Verwaltung kann von höherer Effizienz durch die digitalen Prozesse profitieren.

Bei der Entwicklung öffentlicher Services wird die Nutzerperspektive in den Mittelpunkt gestellt werden müssen, um eine angemessen Infrastruktur für das 21. Jahrhundert zu schaffen. Es geht hier nicht mehr nur um die Projektierung von Verwaltungssoftware, sondern um die Entwicklung digitaler Services für Bürger. Es ist Zeit aus technologischen Verwaltungsprojekten service-orientierte Bürgerprojekte zu machen. Denn das Ziel eines demokratischen Staats im Digitalzeitalter darf nichts geringeres sein als eine Citizen Experience, die Bürger-Souveränität und aktive Teilhabe an erste Stelle stellt. Kurzum: Es gibt viel zu tun.

 

3 Comments

  • Eine moderne offentliche Verwaltung kann den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes unterstutzen und ist ein bedeutender Standortvorteil – daher wird das E-Government-Angebot in Deutschland kontinuierlich ausgebaut. Offenbar werden die Potenziale der digitalen Verwaltung bisher nicht wirklich ausgeschopft. Das fur Deutschland verabschiedete Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen (OZG) wird dem entgegenwirken: Besonders in Deutschland zeigt sich eine Diskrepanz bei der Nutzung und den verfugbaren Angeboten. Mittlerweile kennt jeder zweite Online-Nutzer verschiedene E-Government-Angebote, wie zum Beispiel die elektronische Steuererklarung Elster. Auch sind die Bereitschaft und das Vertrauen gegenuber digitalen Services gestiegen. Dennoch mangelt es an Nutzerzahlen. Ein Drittel der Befragten beklagt die mangelnde Durchgangigkeit und benotigt die verfugbaren Dienste sehr selten. Bei den Transaktionen ist Deutschland Schlusslicht in der Untersuchung.

  • Die Studie bestatigt: Es mangelt weder an technischen Losungen noch an Ideen oder dem Willen der Nutzer. Vielmehr fehlen beherzte Schritte der konkreten, burgerzentrierten Umsetzung in der Flache. Dazu ist auch politischer Wille und Mut notwendig, die Hurden des Foderalismus im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung ein Stuck weit zu uberwinden. Wir brauchen nicht noch mehr zusatzliche, theoretische Konzepte und Think Tanks, sondern pragmatische Losungen und die intelligente Verknupfung von bereits bestehenden, erfolgreichen E-Government-Services. Diese gibt es in gro?en Teilen bereits im Markt sowohl auf Seite der offentlich rechtlichen Dienstleister als auch in der Wirtschaft – zum Beispiel auch von Materna.

    • Vielen Dank für den Kommentar!
      Tatsächlich sind die strukturellen und juristischen Hürden ein Kernproblem. Materna hat sich u.a. mit dem GSB den speziellen Herausforderungen relativ früh technisch angenommen. Technische Lösungen sind aber bloß die halbe Miete, weil eine bürgerorientierte Implementierung immer auch inhaltliche Entscheidungen nötig macht, die oft langwierige Entscheidungsprozesse mit sich bringen. Bürgernahe Services bedeuten in der Regel Kooperation und IT-Konsolidierung im „Backstage“ zwischen verschiedenen Behörden und Verwaltungseinheiten. Insofern sind entsprechende Nutzungskonzepte meiner Erfahrung nach nicht theoretisch, sondern im Gegenteil sehr anwendungsbezogen.

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